Therapie

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26.06.2023

Physiotherapie studieren

Physiotherapie studieren

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Wie viel Akademisierung verträgt Deutschland?

Ja, nein, vielleicht und wenn ja, wie viel? Diese Diskussion ist noch lange nicht abgeschlossen. Aktuell, am 23. Mai 2023, startete die Kampagne „Bündnis Therapieberufe an die Hochschule“. Der Berufsverband Physio Deutschland setzt sich mit Partnern aus Hochschule und Therapieberufen für die akademische Ausbildung ein. In der Debatte zur Ausbildungsreform der Therapieberufe geht es unter anderem um die Stichworte berufsfachschulische Ausbildung, Teilakademisierung und Vollakademisierung.

Derzeit steht es allen Schulabgängern offen, durch eine Ausbildung an einer Fachschule einen Heilberuf zu erlernen. Das betrifft auch Physiotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister. Mit einer Vollakademisierung der Physiotherapie wären Schüler ohne Hochschulreife von dieser Berufswahl ausgeschlossen.

Möglichkeiten der Akademisierung

Die Teilakademisierung sieht vor, dass neben der berufsfachschulischen Ausbildung parallel eine hochschulische Qualifikation angestrebt werden kann. Das heißt, dass grundsätzlich der akademische Bildungsweg ausbildungs- oder berufsbegleitend möglich ist.

Bei einer Vollakademisierung führt der Weg zum Physiotherapeuten allein über eine akademische Ausbildung an einer Hochschule.

Die Forderung nach einer Akademisierung der Therapieberufe ist nicht neu. Politisch ist das Thema noch lange nicht ausdiskutiert, denn die Geister scheiden sich genau an dieser Frage: Teil- oder Vollakademisierung.

Politisches Hin und Her

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach befürwortete die Vollakademisierung der Therapieberufe im vergangenen Herbst auf dem Therapiegipfel in Berlin zur Freude diverser Berufsfachverbände, aber nicht zur Freude mancher Bundesländer. Ein Grund könnte in der Finanzierungsfrage liegen. Denn da die einzelnen Bundesländer in ihrer Bildungshoheit Träger der Hochschulen sind, würden sie dafür finanziell gerade stehen müssen.

Zudem gibt es ein grundsätzliches Für und Wider. Die einen befürworten die in ihren Augen bewährte schulische Ausbildung. Einerseits um möglichst vielen in Zeiten des Fachkräftemangels den Zugang zum Beruf offen zu halten. Andererseits wird vor allem auch die praxisorientierte Ausrichtung der Berufsfachschulen hoch gelobt.

Andere hingegen versprechen sich durch die Vollakademisierung eine Attraktivitätssteigerung des Berufsbilds und eine Kompetenzsteigerung in der Behandlung von Patienten auf Augenhöhe mit Ärzten. Die Notwendigkeit wird auch für die zukünftig erforderliche Interdisziplinarität gesehen, für den Direktzugang und für den Evidenznachweis von Therapien.

Kritischer Blick der Hochschulen

Neben der politischen Diskussion ist der Stellenwert der Ausbildung im europäischen und im internationalen Vergleich nicht außer Acht zu lassen. Und das bemängeln Dr. Sigrun Nickel und Anna-Lena Thiele in ihrem Dossier „Akademisierung der Therapieberufe“, das in der 12. Ausgabe der deutschen Universitätszeitung „DUZ Spotlight – Gute Praxis international“ in Zusammenarbeit mit dem CHE Centrum für Hochschulentwicklung am 17. Februar 2023 veröffentlicht wurde.

Die Auswertung der Autorinnen vom CHE weist bereits im Titel der Pressemitteilung auf ihre Einschätzung hin: „Akademisierung der Therapieberufe: Deutschland droht, den Anschluss zu verlieren“. Denn im Vergleich zu anderen Ländern scheint der deutsche berufsfachschulische Weg ein Relikt zu sein. Im Beitrag „Deutschland hinkt hinterher“ stellen sie fest: „Im Jahr 2020 existierten laut dem Verband „World Physiotherapy“, einem weltweiten Zusammenschluss von Physiotherapeuten, in 90 Prozent der europäischen Länder Studiengänge in diesem Fach.“

Schon im Editorial sprechen Sigrun Nickel und Anna-Lena Thiele von „einer unentschlossenen Zwischenposition“, in der Deutschland verharre und dass „eine klare politische Richtungsentscheidung“ fehle. Ihr Leitartikel „Nichts geht voran“ gibt unter anderem einen Überblick auf die Entwicklung der letzten 15 Jahre mit den entsprechenden Gesetzen, Berichten und Beschlüssen.

Bedarf an Studienplätzen steigt

Auch wenn die Autorinnen beklagen, dass trotz einer Teilakademisierung durch Modellstudiengänge und Einrichtung einzelner Professuren, mehrheitlich immer noch die Ausbildung an nicht akademischen Berufsfachschulen erfolge, so zeigen sie doch gleichzeitig eine Tendenz auf, die für eine Vollakademisierung sprechen könnte.

Ihre Untersuchung zeigt, dass die Nachfrage, ein Studium in Physiotherapie, Logopädie oder Ergotherapie zu ergreifen, steigt – das bewerten sie als positives Indiz: „Im Vergleich zum Wintersemester 2005/06 hat sich die Anzahl der Studierenden in den „Nichtärztlichen Heilberufen/Therapien“ im Wintersemester 2021/22 fast verfünffacht. Die Akademisierung auf diesem Feld schreitet in der jüngeren Vergangenheit also kontinuierlich voran.“

In ihrer Publikation verweisen Nickel und Thiele am Ende auf das Beispiel Schweiz, das nach einer fast 20-jährigen Entwicklung erfolgreich auf die Vollakademisierung von Physio- und Ergotherapeuten blickt. Ein Mutmacherbeispiel: „Auch wenn sich nicht alles deckungsgleich übertragen lässt, bietet die Schweiz doch mit Blick auf die Akademisierungsdiskussion der Therapieberufe in Deutschland etliche Anregungen.“, so das versöhnliche Schlusswort der DUZ Spotlight-Autorinnen.

Reinhild Karasek

Bild: ©Shutterstock.com_1822030097


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